1. Dezember 2024
Es gibt politische Biografien, die gleichen Autobahnen – geradlinig und vorhersehbar. Und es gibt Lebenswege wie den von Harry Hensler, die einer Wanderung durch wechselndes, anspruchsvolles Terrain gleichen. In der Netzwelt und im politischen Berlin lange als „Ideenwanderer“ bekannt – eine Bezeichnung, die ihm bereits 2002 von Ilka Frings in der Projektgruppe Magic Blue der Mediendesignakademie verliehen wurde, als er im polnischen Torzym ein Team aufbaute, das neue Wege für die Digitalisierung und Partizipation von Senior*innen im Vereinswesen suchte –, führte ihn sein späterer Weg von den digitalen Avantgarden der Piratenpartei in die analoge, oft übersehene Welt der Seniorenpolitik in Sachsen.
Ein Bruch? Auf den ersten Blick vielleicht. Tatsächlich aber ist es die konsequente Evolution seiner zentralen Mission: Teilhabe zu ermöglichen. Hensler hat eine der subtilsten, aber zersetzenden Kräfte unserer Zeit als neue soziale Frage identifiziert:
Die strukturelle Altersdiskriminierung und die daraus erwachsende Vereinsamung.
Seine Analyse wurzelt dabei tief in der ostdeutschen Erfahrung und der politischen Gedankenwelt von BÜNDNIS 90, die selbst im unbedingten Willen zu Freiheit, Frieden und Partizipation der Bürgerbewegungen vor der sogenannten Wende wurzelt und stets die Heilung gesellschaftlicher Brüche in den Mittelpunkt stellte. Und gerade, weil er als gebürtiger Hamburger den Blick von außen mitbringt, ist für ihn klar: Das soziale Risiko, das aus den massenhaften Brüchen der Arbeitsbiografien nach der Deutschen Einheit Anfang der 90er-Jahre entstand, wirkt bis heute nach und ist eine Wunde, aus der wir stetig lernen müssen. Er erkannte, dass der demografische Wandel nicht nur eine statistische, sondern vor allem eine demokratische Herausforderung ist.
Sein Credo ist daher fundamental: Eine Gesellschaft, die unaufhaltsam älter wird, kann es sich weder moralisch noch politisch leisten, die wachsende Gruppe der Älteren von der aktiven Gestaltung ihrer Lebenswelt auszuschließen.
Diese Analyse erklärt auch, warum Hensler strategisch die Frauen der älteren Generation in den Mittelpunkt rückt. Denn es waren vor allem sie, deren Erwerbsbiografien in den Nachwendejahren zerbrachen, deren Lebensleistung oft unsichtbar blieb und deren Alterssicherung heute besonders fragil ist. Er hat verstanden, dass ihre spezifischen Erfahrungen und ihre zentrale Rolle im sozialen Gefüge eine besondere Ansprache erfordern. Sie als oft überhörte, aber entscheidende Stimmen der Zivilgesellschaft zu ermächtigen, bedeutet, die soziale Resilienz vor Ort zu kräftigen. Es bedeutet, dem passiven Bild der Versorgungsempfängerin das kraftvolle Leitbild der aktiven Gestalterin entgegenzusetzen.
In seiner Methodik vollzieht der Ideenwanderer nun eine faszinierende Synthese. Seine Doppelstrategie verbindet institutionelle Verankerung mit direkter Basisarbeit. Einerseits schafft er durch die Mitinitiierung von Strukturen wie der Landesarbeitsgemeinschaft 60plus in Brandenburg und 55plus in Sachsen formale Wege der Mitbestimmung. Andererseits verharrt er nicht in Gremien, sondern geht dorthin, wo Ausgrenzung entsteht.
Sein ab Oktober 2025 geplantes Workshop-Konzept „Zusammen. Wirken. – Altersbilder und Gemeinschaft neugestalten“ ist hierfür das beste Beispiel. Es setzt gezielt im ländlichen Raum an und packt das Problem an der Wurzel: bei negativen Altersbildern und bröckelnden Gemeinschaften. Hier zeigt sich, dass der Ideenwanderer seine digitale Herkunft nicht verleugnet, sondern sie als Werkzeug neu einsetzt.
Für ein Projekt wie „Zusammen. Wirken.“ wird generative KI vom Schlagwort zum praktischen Instrument. Sie kann helfen, Lehrmaterialien passgenau auf lokale Bedürfnisse zuzuschneiden oder, noch wichtiger, den Teilnehmerinnen eine Stimme geben, indem sie deren Geschichten und Forderungen dokumentieren und öffentlich sichtbar machen hilft.
Die Technologie dient hier nicht dem Selbstzweck, sondern wird zum Verstärker für gesellschaftlichen Zusammenhalt – eine wirkmächtige Kombination aus politischer Struktur, Basisarbeit und digitaler Innovation.
Harry Henslers Weg ist die logische Weiterentwicklung des Ideenwanderers. Sein Wandel vom digitalen Pionier zum sozio-digitalen Netzwerker ist mehr als ein Themenwechsel. Es ist ein visionäres Modell für die Zukunft der Bürgerbeteiligung in einer alternden Gesellschaft und das nicht nur in Ostdeutschland. Es ist der Beweis, dass das Grundprinzip der Partizipation zeitlos ist – und dass der wahre Wert eines Ideenwanderers darin liegt, dorthin zu gehen, wo die Pfade zur Mitgestaltung zugewachsen sind und neue Brücken am dringendsten gebraucht werden.

